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Yngwie Malmsteen – Einfach nur Shredding Hochadel, oder Architekt des musikalischen Wahnsinns?
🎸 Trial by Fire: Live in Leningrad
Es gibt Livealben, die dokumentieren.
Und es gibt Trial by Fire – ein Album, das definiert.
Als Yngwie J. Malmsteen 1989 in der Sowjetunion auftrat, war er mehr als nur ein westlicher Gitarrist auf Gastspielreise. Er war ein kulturelles Phänomen, das klassischen Anspruch mit elektrischer Energie verschmolz.
In Leningrad entstand kein gewöhnlicher Konzertmitschnitt – sondern ein Meisterwerk aus Struktur, Timing und kompromissloser Klangführung.
🎼 Musik als Architektur – Malmsteens musikalische Sonderstellung
Wo andere Gitarristen den Blues zur Wurzel erklärten, wählte Yngwie einen anderen Stammbaum:
Paganini, Bach, Vivaldi. Kein Umweg, kein Rückblick – sondern ein direkter Zugriff auf Virtuosität und Komposition. Seine Arpeggien sind keine Effekte, sondern Tragwerke aus Tönen. Seine Tonbildung kein Zufall, sondern absolut durchgeformt – wie eine Fuge in drei Akten.
Malmsteen ist kein Gitarrist im klassischen Rockverständnis – er ist ein Solitär, der mit barocker Disziplin und elektrischer Raserei ein eigenes Idiom geschaffen hat.
🔥 Das Album – Bühne mit Skalpell
Trial by Fire ist in Wahrheit eine perfekt kontrollierte Live-Inszenierung:
- Die Drums sind roh und direkt – eingefangen auf sowjetischem Boden.
- Gitarre und Gesang wurden im Studio nachbearbeitet – nicht um zu glätten, sondern um präziser zu werden.
- Das Ergebnis ist ein Album, das Energie und Kontrolle in bisher unerreichter Balance vereint.
Hier brennt nichts durch – hier wird gebündelt.
Jeder Lauf sitzt. Jede Kadenz trägt. Und selbst in den wildesten Momenten bleibt die Struktur erhalten.
Für viele ist Live in Leningrad das wahre Manifest Yngwies – sein Rising Force, in voller Blüte.
🎧 Audiophile Relevanz – Live, aber glasklar
Für die HiFi-Welt ist Trial by Fire eine Testplatte mit Charakter:
Die Bühne ist tief, aber fokussiert.
Die Dynamik schwankt zwischen filigranen Soli und massiven Klangwänden.
Die Auflösung ist so detailreich, dass jede HiFi-Kette zeigen muss, ob sie Struktur und Timing auflösen kann – oder nicht.
Trilogy Suite Op. 5, Far Beyond the Sun, You Don’t Remember… – jeder Track ist ein Prüfstein:
Nicht für Lautstärke, sondern für musikalische Kohärenz.
Nicht für Bassdruck, sondern für Durchzeichnung und Kontrolle.
Wer Trial by Fire auf einer guten Anlage hört, erlebt keine bloße Gitarrenkunst –
sondern ein kompositorisches Kraftfeld, das nur in einem perfekt balancierten System seinen wahren Ausdruck entfaltet.
🌍 Rezeption in Russland
1. Großer Live-Erfolg hinter dem Eisernen Vorhang
Yngwie spielte im Februar 1989 insgesamt etwa 20 Konzerte in der Sowjetunion, darunter Leningrad und Moskau, mit rund 240.000 Zuschauer*innen – ein bis dato unbekanntes Ausmaß für einen westlichen Künstler in der UdSSR .
Die russische Presse krönte ihn später zum „besten westlichen Gitarristen“ .
2. Offizielle Reaktion – Ambivalenz & Begeisterung
Obwohl Hardrock offiziell mit Skepsis betrachtet wurde – etwa durch Veröffentlichungen wie Sovetskaya Rossia, die hartnäckig auf den „schädlichen Effekt harter Musik“ hinwiesen – lieferten Reaktionen auf Malmsteen ein anderes Bild. Seine Konzerte waren ausverkauft, das Publikum ekstatisch und veranstaltete Standing Ovations.
Die politische Elite zeigte sich nicht ablehnend, eher beeindruckt: 2007 wurden Malmsteen und Joe Lynn Turner erneut eingeladen, erneut vor Ministerratsmitgliedern und Premierminister-Mitarbeitern zu spielen.
3. Pressestimmen & Fan-Reviews
Eine Tumblr-Rezension lobt das Album als intensives Feuerwerk: „Malmsteen really gave the Russian fans the business!“ – mit energiegeladenen Interpretationen eigener Songs .
Fans auf Metal‑Archives bezeichneten Trial by Fire gar als „ein essenzielles Live-Album für Shred‑Metal‑Gläubige“, das mit Größen wie Eddie Van Halen oder Vai mithalten könne.
Jerry meint an der Stelle "Ne, Van Halen oder Vai, ok, aber Yngwie ist musikalisch auf einem anderen Level. Shredden können schon viele 14 Jährige. Aber es ist immer eine Kopie von da gewesenem". Wir meinen er hat vollkommen Recht.
Kritik kam eher technisch: Einige bemängelten die „offensichtlichen Backing-Tapes“ und eine stellenweise schrille Klangbalance – aber die Performance wurde dennoch als Meisterleistung mit winzigen Unvollkommenheiten gefeiert.
4. Politisch-offizielle Ebene – kein Zentralkomitee-Boykott
Obwohl offizielle Instanzen harte Rockmusik oft kritisierten, gab es keinen direkten Eingriff durch das Zentralkomitee gegen Malmsteens Konzert. Im Gegenteil: Die massive Zuschauerzahl und die wiederholten Auftritte (1989 und später 2007) zeigen, dass seine Musik einen geschätzten kulturellen Dialog bot.
Der Einsatz seines Auftritts als Symbol westlicher Virtuosität ließ eher auf Respekt als Misstrauen schließen.
🎫 Konzertlogistik & Kontext
Spielorte: Leningrad’s SKK Stadion, vermittelt über den Novosti-Sendewagen, war zentraler Veranstaltungsort .
Ticketverteilung: Die Konzerte reisten durch strukturierte Wege – ähnlich wie bei anderen West‑Acts (z. B. Elton John 1979), teilweise organisiert über staatliche kulturelle Stellen.
Rock-Club-Atmosphäre: Die örtlichen Rockinfrastrukturen wie der Leningrad Rock Club (von KGB/Komsomol überwacht) legten den Boden für ein echtes, wenn auch kontrolliertes Musikerlebnis.
⚡ Fazit: Yngwie hören heißt, Struktur verstehen
Trial by Fire: Live in Leningrad ist mehr als ein Livealbum.
Es ist der Moment, in dem ein Gitarrist mit klassischen Wurzeln, elektrischer Rasanz und unerschütterlichem Selbstverständnis zeigt, dass Musik nicht in erster Linie gespielt – sondern gebaut, geführt und geformt werden muss.
Und genau das ist die Parallele zur Welt des High-End-Audio:
Nicht alles, was laut ist, ist Musik.
Nicht alles, was glänzt, ist Klang.
Aber alles, was strukturiert, getragen und kontrolliert ist – bleibt.
Yngwie bleibt.
WEITERFÜHRENDE LINKS
📘 Russische Wikipedia – Hauptartikel
Übersicht über das Album, Konzerte in Leningrad & Moskau, staatliche Organisation:
🔗 https://ru.wikipedia.org/wiki/Trial_By_Fire:_Live_in_Leningrad
🎙️ Guitarplayer.ru – Biografie & Tourdaten
Russische Gitarrenseite mit detaillierter Chronik seiner Sowjet-Tour:
🗞️ Darkside.ru – Interviewauszug mit Joe Lynn Turner über die Russlandtour
Erwähnung der Leningrad-Konzerte und Aufnahmezeit von Trial by Fire:
🔗 https://www.darkside.ru/news/174736/
📀 Discogs (russische Seite) – Release Details mit Produktionsangaben
Technische Angaben zur LP, Videoproduktion, Konzertort:
🔗 https://www.discogs.com/ru/release/10188242-Yngwie-Malmsteen-Trial-By-Fire-Live-In-Leningrad
💬 Optional lesenswerte Ergänzung (auf Englisch mit Bezug zur Russlandtour):
Fan-Blog mit Blick auf Konzertkultur & politische Lage 1989
🔗 https://tapetardis.wordpress.com/2020/08/07/yngwie-malmsteen-trial-by-fire-live-in-leningrad/